Eine neue Studie zeigt, was europäische Länder voneinander lernen können, um die Berufsausbildung zu verbessern und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen
Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in einigen europäischen Ländern fast 50 Prozent, während sie in Deutschland vergleichsweise gering ist. Als eine Erklärung hierfür gilt oft das deutsche System der dualen Berufsausbildung, gebaut auf stabilen sozialen Wirtschafts- und Sozialbeziehungen. Doch auch hier gibt es große Herausforderungen, denn laut der letzten Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es einen Monat vor Beginn des Ausbildungsjahres noch über 120.000 unbesetzte Ausbildungsstellen, aber zugleich noch über 100.000 unversorgte Bewerber. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Vodafone Stiftung arbeitet jetzt heraus, wo bei allen Unterschieden Gemeinsamkeiten bei der beruflichen Vorbereitung der Jugend Europas liegen und was die Länder voneinander lernen können.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka unterstrich angesichts der Studien-Ergebnisse: „Von der Zusammenarbeit mit anderen Ländern profitieren auch wir. Die Studie zeigt, dass wir oft ähnliche Herausforderungen teilen, zum Beispiel bei der Attraktivität von Berufsbildung. Auch wir müssen junge Menschen und ihre Eltern davon überzeugen: Eine Ausbildung bedeutet nicht „schmutzige Hände“, sondern „kluge Köpfe“. In Deutschland sehen wir die Berufsbildung daher als eine gleichwertige Karrierealternative zum Studium.“
Laut der Studie gibt es zwar nicht das “eine“ ideale Ausbildungsmodell, das man auf alle Länder übertragen kann, dafür aber klare Erfolgsfaktoren, wie ein Berufsausbildungssystem möglichst viele Jugendliche gut auf ihr Arbeitsleben in einem Europa ohne Grenzen vorbereitet.
Erfolgsfaktoren eines gelungenen Berufsausbildungssystems:
- Aktive Beteiligung der Unternehmen: Jugendlichen gelingt der Einstieg in den Arbeitsmarkt besonders gut, wenn sie eine Qualifizierung mit der Möglichkeit zu praktischen Erfahrungen in der Arbeitswelt bekommen. Die Unternehmen wiederum erhalten dadurch passgenau qualifizierte Fachkräfte. Dies gelingt in Deutschland und der Schweiz bereits gut, während sich in anderen EU-Ländern die Wirtschaft noch recht wenig engagiert und Unternehmen selten spezielle Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
- Starke Einbindung der Sozialpartner: Es ist vorteilhaft für nachhaltige Arbeitsplatz- und Berufsperspektiven, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite Form und Inhalte der beruflichen Ausbildung gemeinsam gestalten. Dabei sind ebenfalls Deutschland und die Schweiz besonders fortschrittlich. Hier sind die Sozialpartner durch ein duales Ausbildungssystem verbindlich eingebunden. So werden beispielsweise die Ausbildungsordnungen von Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften gemeinsam entwickelt. Eine Beteiligung der Sozialpartner findet sich aber auch in anderen Ländern. In Schweden, Portugal und Großbritannien gibt es z.B. branchenspezifische Beiräte.
- Hohe Mobilität der Jugendlichen: Bisher werden vor allem die europäischen Studierenden dabei gefördert, während ihres Studiums ins Ausland zu gehen. Auch die Auszubildenden sollten stärker von Erfahrungen in anderen europäischen Ländern profitieren und sich auf den internationalen Arbeitsmarkt vorbereiten können. Deshalb sollten beispielsweise die EU-Mobilitätsprogramme, wie Erasmus+, noch stärker auf Auszubildende ausgerichtet werden. In Deutschland gilt es zudem, innerhalb des Landes die Mobilität der Jugendlichen zu steigern. Bewerber und offene Stellen liegen oft in verschiedenen Regionen und aufgrund mangelnder Mobilität bleiben Jugendliche unversorgt und Ausbildungsstellen unbesetzt.
- Besseres Image für die Ausbildung und gezielte Berufsberatung: Vielerorts hat eine Berufsausbildung ein geringeres Ansehen als ein Studium. Deshalb müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam stärker dafür sorgen, dass sie von den Jugendlichen wie auch von ihren Eltern als attraktive, gleichwertige Option wahrgenommen wird. Zugleich muss die Berufsberatung verbessert werden, da sie in fast allen Ländern – so auch in Deutschland – zu einseitig in Richtung Studium berät.
- Spezielle Angebote für leistungsstarke und leistungsschwache Jugendliche: Um möglichst viele Jugendliche nachhaltig in Ausbildung und Beschäftigung zu integrieren, müssen vielfältige Wege angeboten werden. So gibt es beispielsweise in Großbritannien und in Deutschland duale Studiengänge für besonders leistungsstarke Jugendliche. Für leistungsschwächere Jugendliche wiederum gibt es beispielsweise in Schweden, Polen und Portugal speziell zugeschnittene Angebote, wodurch die Zahl der Ausbildungsabbrecher gesenkt werden konnte. Auch in Deutschland wurden mit dem Ausbau der ausbildungsbegleitenden Hilfen und der Einführung der Assistierten Ausbildung gezielt Instrumente geschaffen, die den Jugendlichen den Abschluss einer vollqualifizierenden Ausbildung ermöglichen.
- Durchlässigkeit des gesamten Bildungssystems: Die Akzeptanz der beruflichen Ausbildung lässt sich durch die Anschlussfähigkeit an höhere Bildungswege oder die Anrechnung erworbener Kompetenzen steigern. Ein durchlässiges Bildungssystem gibt Eltern und Jugendlichen das Versprechen, dass ihnen mit einer Berufsausbildung viele Wege offen stehen und sie nicht in einer Sackgasse landen. In Portugal und Polen erhalten Auszubildende mit dem Ausbildungsabschluss die Hochschulreife. In Schweden, Deutschland und der Schweiz gibt es Extrakurse zum parallelen oder anschließenden Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung.
- Ständige Aktualisierung der Ausbildungsinhalte: Digitalisierung und Transnationalisierung sind globale Trends, die den Arbeitsmarkt und die Unternehmen fundamental verändern. Die Berufsausbildung muss daher so flexibel ausgestaltet sein, dass sie mit der sich stetig verändernden Arbeitswelt Schritt halten und an branchenspezifische Besonderheiten angepasst werden kann. Denn eine gute berufliche Ausbildung stärkt die Position des Einzelnen, um ihn auf eine unsichere Zukunft vorzubereiten und seinen Platz im europäischen Arbeitsmarkt dauerhaft zu finden. Je nach Land stehen dafür unterschiedliche Ansätze zur Verfügung, die zum jeweiligen Arbeitsmarkt passen: In Deutschland und der Schweiz gelingt dies beispielsweise durch technikneutrale, gestaltungsoffene Ausbildungsordnungen.
Die Studie basiert auf einer vergleichenden Analyse der Berufsbildungssysteme von Deutschland, Italien, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz sowie Großbritannien.
Die Ergebnisse der Studie werden heute u.a. von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, der Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation Annette Niederfranke, der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Elke Hannack, dem Präsidenten des Zentralverbands des deutschen Handwerks Hans Peter Wollseifer sowie führenden Wirtschaftsvertretern diskutiert.
Stimmen zur Studie
Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) Ein gutes Berufsausbildungssystem ermöglicht Jugendlichen wirtschaftliche und soziale Teilhabe, sichert Unternehmen den Fachkräftenachwuchs und leistet somit einen entscheidenden Beitrag zur Förderung von gesamtwirtschaftlichem Wachstum und gesellschaftlichem Zusammenhalt.
Elke Hannack, stellv. Vorsitzende, Deutscher Gewerkschaftsbund und Vorsitzende des Kuratoriums, Hans-Böckler-Stiftung Bei der Übernahme dualer Elemente sollten sich Regierungen und Sozialpartner über Mindeststandards für eine moderne Berufsausbildung verständigen. Dazu zählen die Ausbildungsdauer für das Erlernen eines Berufes –mindestens drei Jahre–, die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Berufsschule und der rechtliche Status der Auszubildenden sowie die Qualifizierung des Ausbildungspersonals in den Betrieben. Und wir müssen betonen: Nur eine breit angelegte, fundierte Berufsausbildung sichert den Betrieben hoch qualifizierte Fachkräfte und eröffnet den jungen Menschen gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.
Michael Thielen, Generalsekretär, Konrad-Adenauer-Stiftung Duale Ausbildung ist kein „Selbstläufer“, sondern die Politik muss sie mit der Gestaltung von Rahmenbedingungen stärken. Das lohnt sich, denn duale Ausbildung verfügt über ein erstaunliches pädagogisches Potential, das leistungsstarken jungen Menschen und Spätstartern erfolgreiche Berufs- und Karrierewege ermöglicht.
Dr. Mark Speich, Geschäftsführer, Vodafone Stiftung Deutschland Man kann die Krankheit Jugendarbeitslosigkeit, unter der viele Länder Europas leiden, nicht durch einfache Rezepte heilen. Aber zu einem Weg aus der Krise gehört auch, dass –so wie in Deutschland– Unternehmen Ausbildungsmöglichkeiten schaffen und Gewerkschaften nicht nur die Interessen der Arbeitsplatzbesitzer verteidigen, sondern sich auch dafür verantwortlich fühlen, jungen Menschen den Weg in eine gute Berufsausbildung zu eröffnen.
Ansprechpartner beim Institut der Wirtschaft Köln (IW):
Dirk Werner (Projektleiter), 0172 3881042, werner@iwkoeln.de
Ansprechpartner bei der Hans-Böckler-Stiftung:
Rainer Jung (Pressesprecher), 0211 7778-150, rainer-jung@boeckler.de
Ansprechpartnerin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung:
Elisabeth Hoffmann (Koordinatorin Bildungs-, Familien- und Jugendpolitik), 02241 246 2515, elisabeth.hoffmann@kas.de
Ansprechpartner bei der Vodafone Stiftung:
Danyal Alaybeyoglu (Leiter Kommunikation), 0172 240 3359, danyal.alaybeyoglu@vodafone.com
Projektpartner
Über das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) ist ein privates, nicht kommerzielles Forschungsinstitut in der Rechtsform des eingetragenen Vereins. Es wird getragen von Arbeitgeberverbänden, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeitet es Analysen und Stellungnahmen zu allen Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, des Bildungs- und Ausbildungssystems sowie des Arbeitsmarktes. Kennzeichnend für die IW-Arbeit ist die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher Analyse auf Basis fundierter theoretischer Kenntnisse sowie empiriegestützter Forschung und zielgruppenorientierter Öffentlichkeitsarbeit. Mit seinen Aufgabenschwerpunkten nimmt das IW Köln eine besondere Stellung unter den Forschungsinstituten in Deutschland ein. http://www.iwkoeln.de
Über die Hans Böckler Stiftung
Die Hans-Böckler-Stiftung ist das gemeinnützige Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk der deutschen Gewerkschaften. Sie forscht zu den Themenfeldern Arbeit und Wirtschaft, unterstützt die Arbeit von Mitbestimmungsakteuren in Betrieben und Unternehmen und fördert begabte junge Menschen aus Arbeitnehmerhaushalten mit Studienstipendien. http://www.boeckler.de
Über die Konrad Adenauer Stiftung
Die Konrad Adenauer Stiftung ist eine politische Stiftung, die sich national und international durch politische Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit einsetzt. Die Festigung der Demokratie, die Förderung der europäischen Einigung, die Intensivierung der transatlantischen Beziehungen und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sind besondere Anliegen. Als Think Tank und Beratungsagentur erarbeitet die Konrad Adenauer Stiftung wissenschaftliche Grundlagen und aktuelle Analysen vorausschauend für politisches Handeln. http://www.kas.de
Über die Vodafone Stiftung Deutschland
Die Vodafone Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland und Mitglied einer weltweiten Stiftungsfamilie. Als eigenständige gemeinnützige Institution fördert und initiiert sie als gesellschaftspolitischer Thinktank Programme mit dem Ziel, Impulse für den gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklung einer aktiven Bürgergesellschaft anzustoßen und gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen. Das Förderprofil steht unter dem Leitmotiv „Erkennen. Fördern. Bewegen.“ und konzentriert sich auf die Bereiche Bildung, Integration und soziale Mobilität. http://www.vodafone-stiftung.de
http://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_berufsausbildung_europa.pdf - * Sara-Julia Blöchle, Regina Flake, Tarrin Khairi-Taraki, Markus Körbel, Sarah Pierenkemper, Corinna Rauland, Dirk Werner, Daniel Wörndl: BERUFSAUSBILDUNG FÜR EUROPAS JUGEND - Voneinander lernen, miteinander gestalten.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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